Trotz noch immer hoher Verkaufszahlen knirscht und knackst es merklich im Gebälk des Systems Auto: Dieselskandal und Industriebetrug, E-Mobilität und autonomes Fahren, digitale Mobilität und eskalierende sozial-ökologische Krisen…
Wir wissen, dass das politische System der BRD derzeit auf keine große Zukunftsfrage relevante Antworten hat: Klimawandel, Ungleichheit, Rechtsruck, Überwachungsstaat…
Die Zeit ist also reif für eine neue soziale Bewegung gegen die Autogesellschaft. Es braucht neue Stimmen, die sich nicht nur gegen ein Symptom – Verkehrstote, Feinstaubbelastung, städtischer Flä-chenklau –, sondern endlich gegen den Kern des Problems wenden: ein Gesellschafts-, Verkehrs- und Wirtschaftsmodell, das sich um dreckige, ressourcen-fressende und viel zu oft mörderische Blechbüchsen dreht.
Mehr noch als auf Kohlegruben, Investitionsschutzabkommen und Abschottungsgrenzen basiert der Deutsche Exportkapitalismus auf der Autoindustrie, diesem Inbegriff einer nationalegoistischen »Externalisierungsgesellschaft« (Stephan Lessenich). Die Hegemonie der Autogesellschaft geht jedoch tiefer, sie lebt auch von der unglaublichen emotionalen Wucht, mit der unsere Körper von Autos angerufen und eingebunden werden: Es geht um Freiheit und Handlungsmacht, Selbstdarstellung und Überordnung, um Abkapselung und Kontrolle, um Individualisierung und Beschleunigung. Von der obersten Staatsspitze bis in die untersten Lendenbereiche, das Auto ist hierzulande immer und überall
Deutschlands Verkehrssektor emittiert ein Fünftel der deutschen Treibhausgase – Tendenz steigend, den immer mehr werdenden SUVs sei Dank. Und wie in anderen Sektoren des Kapitalismus zeigt sich, dass jedes Quäntchen Wirtschaftswachstum immer mit einem korrespondierenden Verkehrswachstum einhergeht. Wer also den deutschen Autosektor angreift, greift direkt den deutschen Kapitalismus und seine soziopathische Wachstumslogik an. Die Politik gelobt nun durch Elektroautos ökologische Verbesserung. Aber Elektroautos sind so ökologisch wie der Karibik-Urlaub mit Kohlendioxid-Ausgleich…
Die massive Luftverschmutzung durch den Autoverkehr überschreitet fast überall vorgeschriebene Grenzwerte. Nicht umsonst drohen allenthalben Fahrverbote. Die EU geht allein in Deutschland von jährlich Zehntausenden vorzeitigen Todesfällen durch automobile Emissionen aus. Hinzu kommen jährlich die Tausenden von Verkehrsverletzten und -toten. Außerdem nehmen Parkplätze einen großen Teil des urbanen Raums ein, der sonst sinnvoll für gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen könnte.
Die negativen Effekte des Autoverkehrs berühren uns also alle, jeden Tag: Eltern, die ihre Kinder auf den Straßen sicher wissen wollen, Rentner*innen, die vor Lärm nicht schlafen können, Radler*innen, die jeden Tag in Lebensgefahr schweben…
Vielen verspricht eine autofreie Gesellschaft einen großen Gewinn an Lebensqualität…
Ähnlich wie bei der »Energiewende« liegen Alternativen zum herrschenden Verkehrs- und Mobilitätssystem bereits auf dem Tisch: Ticketfreier ÖPNV, Ausbau des Schienennetzes, kollektiv genutzte Fahrzeuge, Fahrradstraßen, kurze Wege et cetera.
Mobilität kann nachhaltig, post-fossil, barriere- und diskriminierungsfrei, intelligent vernetzt und sicher sein!
Das Ideal der »autogerechten Stadt« … gehört auf die Müllhalde der Geschichte. Mobilität für alle (ob mit Bus, Fahrrad, zu Fuß oder im Rollstuhl) muss als soziale Daseinsvorsorge und darf nicht als profitorientierter Wachstumsmarkt verstanden werden.
Um diese Kräfteverhältnisse zu verschieben, braucht es mehr Druck von unten und mehr Menschen, die zeigen, dass sie nicht mehr gewillt sind, die enormen lokalen und globalen Kosten der Autoindustrie zu (er-)tragen.
Quelle: aus einen Artikel von Jana Aljets und Tadzio Müller in der OXI Nr. 3/19